Wer sich viel in die Natur begibt, erblickt oft recht kuriose Baumformen die nicht annähernd der typischen Form ihrer jeweiligen Art entspricht. Das hat viele Gründe und hat nichts mit der Frage zu tun ob dies nun natürlich sei oder nicht. In der Schwarzwaldregion „Schauinsland“ stehen zum Beispiel einige Baumgruppen im permanenten Windzug. Ihre Form ist alles andere als der Ausdruck von Natürlichkeit gemäss ihrer Art denn nach ihrer jetzigen Form können sie nirgends mehr klar zuge- ordnet werden. So betrachtet ist es müssig von unnatürlicher Formgebung zu sprechen oder bestimmte Formen als alleinig richtige Definition zu deklarieren. Die Natur verbiegt den Wuchs einer bestimmten Art oft bis zur Verkrüppelung, ohne dass der Baum deswegen sterben oder leiden wird, er ist trotzdem so gesund wie all die Andern. Genau so ist es beim Gestalten der Bonsaibäume, der Unterschied liegt nur bei der Verwendung der Werkzeuge. Beim Bonsai ist es zum Beispiel der Draht, in der Natur ein permanenter Windzug der den Baum gar nie aufrecht stehen lässt. Oder der Blitz- und Hagelschlag formt in der Natur bizzare Baumformen, das Messer oder die Bohrmaschine den Bonsai. Im Winter formt die Schneelast die Bäume, beim Bonsai ist es ein Zugband. So gibt es bei der Bonsaigestaltung noch viele Methoden, in der Natur ist es ein Steinschlag, ein Erdbeben, ein Buschbrand, eine Lawine oder ein Wirbelsturm. Es gibt also eigentlich keine unnatürlichen Baumformen, man kann höchstens von einer atypischen Form sprechen. In diesem Sinne kann auch nicht von einer Vergewaltigung bei der Bonsaigestaltung gesprochen werden was den Bonsai- gestaltern oft als Vorwurf angelastet wird. Allerdings erkenne ich durchaus auch eine Form von Vergewaltigung durch unsachgemässe Behandlung eines Baumes, aber das ist nun auch nicht eine typische Sache die nur bei der Bonsaigestaltung vorkommt. Vergisst der Gärtner zum Beispiel eine Kunststoffbeschilderung die um den Stamm des Baumes gebunden wurde, so wird dieser Baum mit der Zeit regelrecht gewürgt, das gleiche kann im Kleinen mit einem Bonsaidraht passieren.
Das Biegen, Drahten, Schneiden und Binden ist für die Bonsaibäume gewiss nichts ausserordentliches oder schmerzhaftes, die Natur selbst praktiziert dies tagtäglich, ohne dass dadurch die Natur zugrunde geht. Ihr Schaden ist vielmehr die von Menschen verursachte Luftverschmutzung oder der Wassermangel durch Absenkung von Grundwasser. Sicherlich ist der Gedanke von Bonsaivergewaltigung nicht ganz zu Ende gedacht zumal dies die Landschaftsgärtner täglich praktizieren wie zum Beispiel durch das Mauerartige beschneiden von „Hagebuchbäumen“ zu Vorgartenhecken. Oder sie zwingen Obstbäume an eine Drahtkonstruktion um bequemer ernten zu können. Sie formen Buchsbäume in Parks zu Kugeln oder anderen Formen oder züchten ehemals grosse Pflanzen zu kleinen Gebilden die auf einen Balkon passen um damit mehr verdienen zu können. Oder sie überzüchten blühende Stöcke damit diese vor lauter Blüten nur so strotzen um am Ende erschöpft zusammenzubrechen, im Herbst wird dieser verblühte Sommerflor als Abfall entsorgt.
Bonsai brechen jedoch nie zusammen, sie leben oft viele Jahre länger als ihre Art- genossen in der freien Natur. Sie werden gehegt und gepflegt und entwickeln sich meist gesünder und kräftiger als ihre Verwandten In den Wäldern und auf den Auen. Die Schönheit eines Bonsais lässt eigentlich nie auf eine schlechte Behandlung, Haltung oder gar Vergewaltigung schliessen. Bonsai ist sogar eine grosse Bereicherung für die Menschen denn die kleinen Bäume vermögen sehr wohl die Seele eines Menschen positiv zu „berühren“. A.Pietro L.
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